Der Klimawandel ist menschengemacht! Was jahrelang im Raum stand, ist nun offiziell von Wissenschaftlern bestätigt. In einem ganz aktuellen Sachstandsbericht (August 2021) des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auch als Weltklimarat bezeichnet, steht geschrieben, dass der Einfluss der Menschen ganz eindeutig die Erdatmosphäre, den Ozean sowie die Landflächen erwärmt hat. Um Schlimmeres zu verhindern, gilt es jetzt zu handeln. Keine Frage, dass die deutschen Parteien für die bevorstehende Bundestagswahl ihre Klimaschutzpläne in den Wahlprogrammen angepasst haben.
Welche Partei wofür steht, welche konkreten Maßnahmen sie zur Abwendung des Klimawandels plant und wie die einzelnen Klimaschutzpläne in den Wahlprogrammen aussehen, darüber haben wir mit dem Politikwissenschaftler Dr. Steve Kenner vom Institut für Didaktik der Demokratie (IDD) an der Leibniz Universität Hannover im Interview gesprochen.
Dass der Klimawandel zu den größten Herausforderungen der Gegenwart und gleichzeitig auch der Zukunft gehört, darüber sind sich die großen Parteien, wie CDU/CSU, SPD, Die Grünen, FDP und Die Linke, einig. Und auch dazu, dass eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels gegenüber einer stärkeren Erwärmung erheblich verringern würde, herrscht unter eben diesen Parteien eine gewisse Übereinstimmung. Für sie ist klar: Die Gefahr, unumkehrbare Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten, muss zwingend abgewendet werden. Die Wege, um dies zu erreichen, sind jedoch denkbar verschieden, wie ein Blick auf die Klimaschutzpläne in den Wahlprogrammen zeigt.
CDU/CSU setzen auf die Macht des Marktes. Dabei gilt die Annahme, dass die Innovationskraft des Marktes klimakonforme Maßnahmen entwickeln kann, die den Ausstoß von CO2 – dessen Verringerung im Übrigen maßgeblich für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziel ist – regulieren können. Als zentrales Element thematisieren CDU/CSU bei ihren Klimaschutzplänen im Wahlprogramm deswegen den Emissionshandel. Das Prinzip dahinter: Wer CO2 ausstößt, muss auch dafür bezahlen.
Konkret bedeutet das, dass jeder, der CO2 ausstößt, dafür bezahlen muss. So sollen Emittenten Zertifikate erwerben, deren Anzahl sich nach der Menge des ausgestoßenen Kohlenstoffdioxid richtet. Das heißt also: Je mehr CO2 beispielsweise ein Unternehmen produziert, desto mehr Zertifikate muss es erwerben. Die Anzahl der Zertifikate ist jedoch begrenzt, wodurch es ein CO2-Limit gibt. Auf diese Weise soll der Markt sich motiviert fühlen, seine Innovationskraft anzukurbeln und moderne Technologien zu entwickeln, was zwangsläufig zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes führen soll. Aktuell gilt der Emissionshandel in der gesamten Europäischen Union, ist aber auf energieintensive Sektoren wie die Stahl- und Betonherstellung oder die Chemieindustrie beschränkt.
Als weitere Klimaschutzpläne setzen CDU/CSU auf den Ausbau des Schienenverkehrs, auf eine Senkung der Stromsteuer sowie auf den Ausbau erneuerbarer Energien und auf Wasserstoff als Antriebsmittel. Damit unterscheiden sich ihre Klimaschutzpläne allerdings wenig von den aktuellen Zielen der Bundesregierung – was laut einer Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie alles andere als zielführend ist. So haben Wissenschaftler unter anderem errechnet, dass CO2-Minderungsziele von mindestens 85 Prozent bis zum 2030 erreicht werden müssen. Die CDU plant im gleichen Zeitraum nur eine Reduktion von 65 Prozent. Das zeigt: Sowohl mit den momentanen als auch mit den zukünftig angedachten Klimaschutzpläne von CDU/CSU lässt sich eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad wahrscheinlich nicht erreichen.
Der Emissionshandel ist auch für die SPD ein zentraler Bestandteil ihrer Klimaschutzpläne. Zudem möchte die Partei die Ziele des Pariser Klimaabkommens umsetzen, klimaschonende Produktionsprozesse in Industrie und Wirtschaft erschaffen sowie sämtliche Subventionen abbauen, die klima- und umweltschädlichen Wirtschaftszweigen momentan zustehen. Das alles soll zu einer Verringerung der CO2-Emissionen führen.
Darüber hinaus möchte die SPD ebenfalls den Ausbau erneuerbarer Energiekonzepte fördern, Umweltboni für den Kauf von E-Autos einführen und mögliche finanzielle Belastungen durch teurere Energiepreise für Menschen mit niedrigem Einkommen auffangen. Bahnfahren soll attraktiver werden und Wasserstoff als Antriebsmittel eine stärkere Rolle einnehmen. Es sind eine Menge Maßnahmen, die die Partei anstrebt. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sind auch diese Ziele und geplanten Maßnahmen nicht ausreichend, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten.
Die FDP hat klare Ansichten: Die Privatisierung der Bahn ist unumgänglich, davon sind die Liberalen überzeugt. Denn, so verspricht sich die Partei, mit einer Bahn in privater Hand ließen sich sowohl ein besserer Service als auch günstigere Preise realisieren. Das soll Menschen dazu animieren, seltener das Auto zu wählen und somit die CO2-Emissionen zu verringern. Darüber hinaus setzt auch die FDP in Sachen Klimaschutzpläne auf den Emissionshandel – und das noch radikaler als CDU/CSU und SPD. So sagt die Partei nicht nur, dass der Emissionshandel von den Industriezweigen wie Stahl, Chemie und Beton auf alle Sektoren der Wirtschaft ausgeweitet werden soll, sondern vertritt auch die Meinung: Der Markt soll regeln, der Staat soll die Möglichkeiten schaffen.
In diesem Zusammenhang verspricht sich die FDP, das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmer anzusprechen und ihren Entwicklergeist zu wecken. Zudem beschreiben die Klimaschutzpläne der Partei Ausgleichszahlungen für die Bürger, damit die Energiewende nicht zu deren Lasten geht. Das Alleinstellungsmerkmal im Programm der FDP liegt jedoch in ihrem Negativziel. So sagt die Partei, dass neben einer Minderung des CO2-Ausstoßes auch auf eine künstliche Speicherung von CO2 gesetzt werden sollte. Damit könne man fünf Prozent negative Emissionen zulassen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) allerdings verweist darauf, dass diese klimapolitische Strategie aufgrund hoher Kosten und ungünstiger geologischer Speichervoraussetzungen sowie wegen des Risikos von ungewollter CO2-Freisetzung über lange Zeiträume in absehbarer Zeit nicht zu empfehlen sei.
Eine Partei, die den Emissionshandel komplett ablehnt, ist Die Linke. Denn diesen hält die Partei nicht für die geeignete Maßnahme, um den Klimawandel abzuwenden. Den CO2-Ausstoß in der Industrie zu reduzieren, möchte sie nicht durch freien Handel, sondern durch staatlich vorgegeben Klimaziele und Emissionsgrenzen für die Unternehmen erreichen. Zudem fordert sie die Vergesellschaftung großer Energieunternehmen. Gemeint ist damit, dass Die Linke Großunternehmen aus dem Energiesektor verstaatlichen und das Strom- und Wärmenetz zurück in die öffentlichen Hand geben möchte. Warum? Weil die Partei der Ansicht ist, dass auf diese Weise wirtschaftliche Interessen in den Hintergrund und Klimaschutz an erste Stelle treten würden.
Hinzu kommt, dass die Linkspartei im Rahmen ihrer Klimaschutzpläne in den Wahlprogrammen eine Verlagerung des gesamten innerdeutschen und wenn möglich sogar innereuropäischen Flugverkehrs auf die Schiene anstrebt. Flüge mit Strecken unter 500 Kilometern soll es damit nicht mehr geben. Zudem sieht das Wahlprogramm vor, die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren ab 2030 zu verbieten und Kaufprämien für Autos jeglicher Art abzuschaffen, dafür aber den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur in ländlichen Bereichen zu fördern. So strebt Die Linke mit ihren Maßnahmen eine CO2-Reduktion von 80 Prozent bis 2030 an und will Deutschland bis 2035 klimaneutral machen. Was radikal klingt, könnte gemäß Studien allerdings am ehesten zum Erfolg führen. Denn die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels erfordert tatsächlich drastische Maßnahmen.
Die Grünen hingegen setzen voll auf die Kraft der erneuerbaren Energie. So soll es für Neubauten eine Pflicht zu Installation von Solarpanels und Photovoltaikanlagen geben. Doch das ist längst nicht alles, was die Partei für ihre Klimaschutzpläne vorsieht. Hinzu kommen: Investitionen von 100 Mrd. Euro in den Bahnverkehr bis 2035, eine Erhöhung der CO2-Bepreisung auf 60 Euro pro ausgestoßene Tonne bis 2023 sowie ein Verbot für die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren ab 2030.
Zudem sollen die Klimaschutzpläne der Grünen den Druck auf Unternehmen erhöhen, ihre CO2-Emissionen zu verringern – durch einen Preisanstieg der CO2-Zertifikate. Außerdem soll es weniger Vorschriften für den Ausbau regenerativer Energiequellen, wie zum Beispiel Windparks, geben, um diesen deutlich zu erleichtern. Darüber hinaus möchte die Partei ein Klimaschutzministerium einrichten, dass alle Gesetzespläne hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen überprüfen und gegebenenfalls blockieren kann.
Der Klimawandel ist normal, ganz natürlich und nicht zu bekämpfen. Das ist die Ansicht der AfD. Als einzige deutsche Partei hat sie keine Klimaschutzpläne in ihrem Wahlprogramm, die sich der Aufhaltung des Klimawandels widmen. Im Gegenteil: Die AfD möchte keine Maßnahmen zum Klimaschutz, will aus allen bereits bestehenden Abkommen austreten und Kohle- sowie Atomkraft weiter stärken. Damit lehnt die Partei jede Form von Klimaschutzmaßnahmen ab, sieht sie diese doch als Bedrohung der menschlichen Freiheit.
Dass keine der anderen Parteien mit der AfD koalieren wird, steht bereits fest. Sämtliche andere Koalitionspläne sind noch offen. Klar ist jedoch, dass jede Koalition Kompromisse bedeutet. Denn alle Klimaschutzpläne in den Wahlprogrammen sind Idealvorstellungen. Diese in gemeinsamem Konsens einzuhalten, wird schwer. Trotzdem sind sich die Parteien einig, dass Klimaschutz das vorherrschende Thema nach der Bundestagswahl wird.
Dieser Artikel und die Videos haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sind lediglich zu Informationszwecken erstellt worden und vertreten keine politische Meinung. Um einen weitgefächerten Blick zu erhalten, empfehlen wir die Wahlprogramme der Parteien und die Aussagen der Berichte des IPCC, Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Sachverständigenrats für Umweltfragen.
Dieser Artikel und die Videos sind in Zusammenarbeit mit Dr. des. Steve Kenner, Wissenschaftler am Instituts für Politikwissenschaft und dem Institut für Didaktik der Demokratie an der Leibniz Universität Hannover, entstanden.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung / DIW Berlin (2021: ) Wie viel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen? Eine Studie für die Stiftung Klimaneutralität
Zugriff über: https://diw-econ.de/wp-content/uploads/DIWEcon_Wahlprogramme_Plausibilitaetsanalyse_v2.0.pdf
Sachverständigenrat für Umweltfragen (2021): Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa.
Zugriff über: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.pdf?__blob=publicationFile&v=31
Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften (2021): Klimawandel: Ursachen, Folgen und Handlungsmöglichkeiten
Zugriff über: https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2021_Factsheet_Klimawandel_web_01.pdf
Hauptaussagen IPCC Bericht / Weltklimarat (2021) auf deutsch:
https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGI.pdf
ganzer Bericht auf Englisch:
https://www.de-ipcc.de/media/content/AR6-WGI-SPM.pdf
Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie (2020): Schlüsselergebnisse der Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie zu einem Beitrag Deutschlands zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze.
Zugriff über: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/CO2-neutral_2035_Factsheet.pdf
SPD-Wahlprogramm: Das Zukunftsprogramm. Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben. (9. Mai 2021) Zugriff über: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm.pdf
CDU/CSU-Wahlprogramm: Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland (21. Juni 2021) Zugriff über: https://www.csu.de/common/download/Regierungsprogramm.pdf
Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagswahlprogramm 2021: „Deutschland. Alles ist drin.“ (13. Juni 2021) Zugriff über: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf
FDP-Bundestagswahlprogramm 2021: Nie gab es mehr zu tun. (16. Mai 2021) Zugriff über: https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf
DIE LINKE-Bundestagswahlprogramm 2021: Zeit zu handeln: Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit (20. Juli 2021) Zugriff über: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf
AfD-Bundestagswahlprogramm 2021: Deutschland. Aber normal. (20. Mai 2021) Zugriff über: https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2021/06/20210611_AfD_Programm_2021.pdf